Armin Klein

 

Curriculum - die Menschen von St.Jakob

Galerie

Seit Januar 2009 Arbeit am Fotoprojekt "curriculum". Es werden alle Bewohner des Ortes St.Jakob in Defereggen fotografisch portraitiert.
Es wird das Portrait eines Dorfes entstehen, das zugleich ein Selbstportrait ist, da es sich bei St.Jakob um meinen Geburtsort handelt. Ich danke den Menschen von St.Jakob für ihre Geduld und ihr Interesse.

 

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Beatrice Simonsen zum Projekt "curriculum - die Menschen von St.Jakob"

Seit der Erfindung der Fotografie stand das menschliche Portrait im Vordergrund. Endlich konnte man sich von einem künstlichen Auge mit größtmöglicher Objektivität abgebildet sehen, ohne die künstlerische Interpretation eines Portraitmalers in Kauf zu nehmen. Am Wirklichsten will der Mensch sich in der Fotografie erkennen. Armin Klein nützt dieses Wiedererkennen nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst. Auf der Suche danach ist er heimgekehrt, um in einem großen Kunstprojekt alle Bewohner seines Heimatortes abzubilden. Ein großes Unterfangen nicht nur im Sinne der Quantität - denn Armin Klein wäre kein Künstler, ginge es ihm nicht darum, mehr als nur ein Passfoto eines jedes Einzelnen zu schießen. Denn seit dieser ersten Begeisterung für das objektive Auge der Kamera hat man gelernt, dass aus dem Fotoapparat mehr als bloße Neutralität herauszuholen ist und dass auch über dieses Medium eine künstlerische Darstellung zu erreichen ist. Ein Foto-Portrait kann viel mehr als hier aufzuzählen möglich ist und es kann mehr als nur den Augenblick der scheinbaren Realität erfassen. Den wesentlichen Zug des gemalten Portraits, nämlich die Persönlichkeit vielmehr als nur die Person darzustellen, sucht auch manche Portraitfotografie da wie dort durch Gesichtsausdruck, Kleidung und Pose zu erreichen, somit das Innere im Äußeren abzubilden.

Armin Kleins Portraitfotos jedoch widersprechen der Pose. Es sind ganz im Gegenteil Momentaufnahmen, die zugleich sehr genau in Szene gesetzt sind. Den Portraitierten steht es frei, wie sie sich präsentieren wollen. Der Ausschnitt jedoch ist festgelegt, für alle gilt das konventionelle statische Brustbild in frontaler Aufnahme. Der Hintergrund ergibt sich von selbst: eine Zimmer- oder Hauswand, eine Mauer, ausnahmsweise eine Jalousie oder ein Stapel Holz, es gibt kaum mehr Variationen. Die Fotos entstehen nicht im Studio, sondern bei den Menschen zu Hause. Der Portraitist tritt meist überraschend auf, wenig Zeit gibt es also, sich zu stellen. Die Kleidung gibt nur Auskunft über die Jahreszeit und somit vermitteln die Bilder die Natürlichkeit des Augenblicks, ohne dabei improvisiert zu wirken. Denn der Fotograf hat die Situation genau im Kopf, er achtet auf die Details, die die Person für ihn auf den ersten Blick ausmachen und umgeht somit das banal Studiohafte, das oft kalt und unpersönlich wirkt oder ganz ins Gegenteil verkehrt in Kitsch umschlägt mit aufgesetzten Posen. Die Lichtsituation – die immer Tageslicht ist - ist nicht Teil der Inszenierung, sondern eine das Leben der Menschen bestimmende Komponente. Mehr als eine Stimmung spiegelt sich der Moment eines Lebenslaufes in den Gesichtern wider. Im Kindergesicht liegt die ganze Offenheit des menschlichen Anbeginns mit einer großen Frage an das Leben. Diese Unberührtheit wandelt sich bei den Halbwüchsigen zu einer kaum merklichen Verhaltenheit des Blicks oder des Mundes. Je weiter die Gesichter der sichtbaren Alterung unterworfen sind, umso deutlicher werden die Spuren des Lebens. Es spiegeln sich in ihnen die Fragen: Was hat mir "das Leben" gebracht? Was habe ich erlebt und wie bin ich damit umgegangen? Die Gesichter der Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen, sind voller Leben.

Die Reihung der Portraits, die nach dem jeweiligen Geburtsdatum geordnet sind, ergibt eine Zeitreise von der Wiege bis ins Grab. So wird ein "Curriculum", ein Lebenslauf, zusammengesetzt aus der Vielzahl von Individualitäten, sichtbar, den Armin Klein anhand der Menschen von St. Jakob darstellt. Der Betrachter wird nicht müde, in den Gesichtern zu forschen, in diesem zwischen den jüngst Geborenen und den ganz Alten gespannten Regenbogen, wie er sich aus der Erde hebt und sich wieder in diese versenkt. Nach Abschluss des Projektes werden die Portraits weiterhin im Internet abrufbar sein, die Bilder - versehen mit Namen und Daten - in der Heimatgemeinde archiviert. Die Einmaligkeit ergibt sich durch den abgeschlossenen Zeitraum.

Armin Klein hat neben dem Portrait seiner Heimatgemeinde ein Selbstportrait geschaffen. Die Identität des Menschen definiert sich bekanntlich über seine Herkunft, die engere über die Eltern, Großeltern und Ahnen, die weitere über den Ort seines Seins und Werdens. Dazu gehören für Armin Klein die Menschen von St. Jakob und auch die Landschaft, die den Blick schult und prägt. Der Blick auf die Menschen, der sich auch in anderen seiner Arbeiten anwenden lässt, verschmilzt im Fall des "Curriculum" mit seiner Innenansicht. Das genaue Hinschauen, in sich selbst hinein, in seinen eigenen Lebenslauf äußert sich in der Bestandsaufnahme der Menschen, die mit ihm eine Strecke des Lebenslaufes gemeinsam absolviert haben und derjenigen, die nach ihm die Lücke derer geschlossen haben, die weg gegangen sind. Armin Kleins eigenes Portrait wird in dieser Galerie wie manch anderer "Foschgena" (nach der heimatlichen Mundart: die "Fortgeher") ebenfalls vertreten, denn Faktum ist, dass er über sein Fortgehen hinaus seine Herkunft nicht verliert.

Beatrice Simonsen

Wien, im Mai 2010

Beatrice Simonsen, 1955 in Wien geboren, Studium der Romanistik und Kunstgeschichte in Wien und Tours/Frankreich. 1982 bis 1987 Mitarbeiterin der Galerie Grita Insam in Wien. Seit 1999 zahlreiche Publikationen zu zeitgenössischer österreichischer Literatur. Hrsg. von "Grenzräume. Eine literarische Landkarte Südtirols" (2005).

 

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